Saturday, December 26, 2009

Zwiebelzeitung und Schokitorte

19.12.09, 17:25 Uhr

Ich warte darauf, dass der Zug losrollt. Mir gegenüber hat sich ein alleinreisender männlicher Tourist in den 50ern niedergelassen. Er trinkt Bier aus der Dose (komischerweise ist Alkoholkonsum in der Bahn erlaubt, da das wohl nicht als öffentlicher Ort gilt), liest „The Onion“ und hat sein Bahnticket in einem Brustbeutel um den Hals zu baumeln. Völlig nichts sagend gekleidet trägt der Mann einen Ring am Finger, mit einem blauen runden Stein besetzt. Leider riecht dieser Mensch so penetrant, dass es mir augenblicklich vergangen ist, mein Schoko-Mousse-Tortenstück zu genießen.

Was habe ich so getrieben die letzten Stunden? Der Tag begann mit einem ziemlichen Desaster als ich am Frühstückstisch saß. Gerade schob ich mir eine Gabel mit Nutellaüberzogenem Pfannkuchen in den Mund, als ich einen Kinderschrei aus dem Keller vernahm. Mein fünfjähriger Gastsohn hat sich aus Lust und Laune überlegt, den Highspeed-Knopf von Papas Laufband zu drücken. Ergebnis war ein blutig aufgeschrammter Rücken halsabwärts. Guten Morgen!

Der Weg in die Stadt anschließend war kalt, ebenso wie die Entdeckungsreise auf Ellis Island. Der Wind auf der Fähre blies eisig und pünktlich nach Ankunft auf der Insel begann das vorhergesagte Schneegestöber. Dieses Stück Land vor der Küste New Yorks hat vor vielen Jahren Einwanderer beherbergt, die verschiedene Tests bzw. Auswahlverfahren durchlaufen mussten, um eine Erlaubnis zu erhalten, bleiben zu dürfen, unter anderem ein Jacob Koop, wie ich auf der Wand mit hunderttausend anderen Namen umzingelt von Millionen Schneeflocken herauslas. Möglicherweise ein Vorfahr der Familie meiner Mutter. Ja, ich hätte auch den Namen Carolin Koop tragen können. =)

Auf der Rückfahrt haben Lisa und ich mal wieder Reisepläne für nächsten Sommer zusammen gesponnen – wie absurd, denn es sind schließlich noch ca. acht Monate bis dahin und der Winter bricht derzeit gerade erst ein.

Zurück auf der Insel Manhattans trugen unsere Füße uns dann zu einer Pizzeria, nachdem wir auf dem Weg dahin noch den Stier betrachteten, dessen Gemächt man doch reiben solle, um auf ein erfolgreiches Geschäftsleben hoffen zu können. Wer sich so ein Zeug schon wieder ausgedacht hat? Später sahen wir uns noch die Trinity Church, das einst höchste Gebäude der Stadt an, sowie die Wall Street, die ihren Namen erhielt, da zu Zeiten, in denen New York noch New Amsterdam hieß, dort eine Schutzmauer zu Verteidigungszwecken errichtet worden war. Zum guten Schluss führte unser Weg uns noch zur St. Pauls Chapel, direkt neben dem Ground Zero, in der unzählige Briefe, Fotos und Erinnerungen an das Attentat vom 11. September ausgestellt waren. Mir kam dieser Ort wie ein Ort des Todes vor und ganz ungewollt hatte ich einen Kloß im Hals, als ich vor einem Bildschirm stand, der eine Doku zeigte, Menschen, die ihr Mitgefühl und ihre Anteilnahme aussprachen. Diese Kapelle blieb wie durch ein Wunder unbeschädigt und nach den Geschehnissen kamen Menschen hier her zum Beten und um die Erlebnisse verarbeiten zu können.

Wusstet ihr, dass die entführten Flugzeuge Inlandsflüge waren? Und ist es nicht eigenartig, dass 9/11 die Nummer für Notrufe in den USA ist? Ground Zero nennt man übrigens einen Ort, an dem Bombenanschläge passiert sind.

Mein Gegenüber verlässt den Zug. Und mich verlässt mein Mitteilungsdrang.

Zeit für die Torte.

Thursday, December 17, 2009

Kobold-Caro

Donnerstag, 03.12.09, 18:27

Heute geht das dritte Türchen auf…

Ich bin im Zug auf meinem Weg in die Stadt, um zusammen mit Lisa Hannah zu überraschen, die heute von der Au Pair Schule aus ihre Tour durch New York City absolviert.

Das Mädchen neben mir hat verzweifelt ihren Kopf in den Schoß gelegt. Ich glaube, sie hatte kein Bahnticket und muss jetzt ne dicke Strafe zahlen. Ich hab bis jetzt noch nicht herausgefunden, was einem so blüht in dem Fall. Vielleicht sollte ich sie einfach fragen…^^ Jedenfalls habe ich noch keine Bahnfahrt ohne Ticketkontrolle hinter mich gebracht. Sehr strickt alles. Nebenbei mümmel ich die so ziemlich geilsten Kekse der Welt. „Chips Ahoi!“. Amerikanische Schoki pur schmeckt zum Magenumdrehen. Die Kekse hingegen sind unfassbar gut. Komische Amis. Haben ja nicht mal Naturquark im Supermarktregal.

Playerupdate: „Just a phase“ (Incubus) …das sag ich mir immer, wenn der dreijährige Teufel mir mit seinem Dreizack in die Nervenstränge sticht.

Ich fahre gerade in den 15-Minuten-Tunnel zum Grand Central ein und bin schon sehr gespannt auf Hannahs Gesicht (unbemerkt davon, dass ich es eh schon seit mehr als drei Monaten nicht mehr gesehen habe), denn ich erinnere mich nur zu gut an mich, als ich mit der Nase an der Busscheibe geklebt hab, als die Skyline Manhattans in der Ferne erschien und uns der Highway über den größten Friedhof trug, den ich je in meinem Leben gesehen habe. Das Sinnbild für diese von Menschen überladene Stadt. Tausende, Millionen Steine, von welchen jeder von weit weg dem anderen gleicht.

21:23 Uhr

Zweiter Trip diese Woche ist vorbei. Lisas perfekter Plan, Hannah in die Arme zu laufen ging voll auf. Mitten auf dem Times Square fielen sich drei Mädchen wie 13-jährige kreischend um den Hals. Ja, man kann es sich genausooo vorstellen. 80% der Menschen würden es wohl als „peinlich“ bezeichnen. Ich fands kuhl. =)

In der kurzen Zeit, die wir hatten, haben wir so viel gelacht wie nur möglich und komischer- und glücklicherweise hat es sich angefühlt, als wäre es gestern gewesen und nicht vor 3 Monaten, als wir das letzte Mal so zusammen waren.

Wie Mutti es mir immer beigebracht hatte, haben wir dann Hannahs Bus mit Taschentüchern hinterher gewunken, der für Hannah den Weg für morgen früh ins ferne Washington D.C. frei machen sollte.

Wann wir uns wieder sehen stand in den Sternen und Lisa und ich legten vor der Bibliothek noch mal die Füße hoch und beobachteten bei einer guten, zufriedenen Zigarette das feierabendliche Getümmel von New York City.

Bevor mein Zug losrollte, setzte sich ein Paar Mitte 40 neben mich. Die schnatterfreudige Dame meinte „You look so cute! Like an Irish Lepracaun. …with your green bag, the green headphones, your hat and the green eyeshadow. It’s so cute!!!” Sie hat mir dann erklärt, dass das ein irisches Sagenvieh ist, das Glück bringt und am Ende des Regenbogens hockt. Ich hab es dann natürlich mal gegooglet – Bild siehe oben.

Wissta bescheid! Ich bin dann ab jetzt ein kleiner, hässlicher, grüner Kobold-Zwerg…

Monday, November 30, 2009

1:24 Uhr, New York, 39°, die Frisur hält mal gar nicht

Diese Momente, in denen die Geräusche der sonst so befahrenen Straße für ca. 10 Sekunden versiegen, weil kein Auto auf der Straße ist, diese Momente, in denen ich auf der Bank sitze, an einer menschenleeren Wiese und der Sprühregen die Luft erfüllt und einige Enten, woher auch immer sie kommen, auf der Wiese den einen oder anderen Wurm im feuchten Boden suchen, diese Momente sind für mich unbezahlbar, weil sie eben in dieser einen halben in Mitten von 100 anderen Stunden geschehen.

Der Tag vor Thanksgiving hat irgendetwas Magisches an sich. Ein bisschen wie Weihnachten. Alle wünschen sich frohe Feiertage und schenken sich ein Lächeln, was vor Erlösung nur so strahlt. Gerade sind wir im Familienpack auf dem Weg nach Baltimore, das zweite Mal in meinen drei Monaten hier. Dicke Feier angesagt morgen, mit allen Tanten und Onkels, Cousinen und Cousins. Und am wichtigsten: der fette Truthahn. „Do you have a bird with you?“ fragte mein Gastpapi gerade dementsprechend einen seiner 20 Brüder am Telefon. Gleich danach kam die Frage nach genug Bier im Kofferraum. …oke.

Gerade telefonieren beide mit ihren Handies und erzählen den Personen am anderen Ende die Attraktion des Tages. Allison ist aus dem Schlaf erwacht, ging kurz zu einem Lied in ihrem Kindersitz ab und ist direkt wieder eingepennt. Oho! Vor zwei Tagen wurde ich übrigens auf dem Spielplatz von einer ziemlich jung gebliebenen Frau um die, grob geschätzt, 50 mit hexenähnlichen durchdringend und strahlend grünen Augen (die, wie sich heraus stellte, nur so durch Kontaktlinsen aussahen.. alles Schmu.) gefragt, ob mein Kind nicht ziemlich „delicious“ sein müsste. Delicious? Bezeichnet man so nicht sonst Essen?

Aber um hier mal zum Eigentlichen zu kommen…

Als Highlight meiner ersten drei Monate in den USA, hat es mich also letzten Montag nieder gestreckt. Dienstagabend bin ich nach einem schon eingeschränkten Arbeitstag zum Arzt gewackelt. Dr. Yung, ein dicker, runder, lustiger Mann aus dem fernen Asien. Auch er hatte mal wieder irgendeine Beziehung zu Deutschland. Er hat die Sprache fünf Jahre in der Schule gelernt. Und Überraschung – nichts ist hängen geblieben. Jedenfalls zog er sich, während ich meine Symptome wie Fieber, Halsschmerzen, Kopf- und Muskelschmerzen beschrieb, einen Mundschutz über. Absolut verständlich, aber kommste dir trotzdem wie der Tod auf zwei Beinen vor. Letztendlich gab er mir zwei Verschreibungen in die Hand. Schon fast am Aufstehen frag ich ihn, wie teuer die so würden. Er: „Och… pfff… hm.. so um die hundert jedes könnt’s wohl werden.“ Ich schlage die Hände vors Gesicht vor Schreck und spiel ein bisschen Theater und brabble vor mich hin, dass ich nicht weiß, wovon ich das bezahlen soll. Asia-Doc zieht die Augenbrauen hoch, dreht sich um und kramt aus seinem Vorratsschränkchen eine Tüte voller Beispiel- und Einzelantibiotika hervor. So kann’s gehen. Und trotzdem hab ich für den restlichen Quatsch, der übrigens ganze 10 Kapseln beinhaltete, $104,99 bezahlt. Die Nacht, in der ich die Medikamente startete, konnte ich so überhaupt nicht pennen und die Thermometeranzeige piepste mir um 1:24 Uhr um die 39°C entgegen. Stimmt das überhaupt? Eigentlich stand da ja 102,4 in Fahrenheit.^^ Zumindest war die Assiwoche mal was Anderes, trotzdem ich mich nie zuvor so unmenschlich gefühlt habe.

…ein Blick zurück

2.11.2009

Da saß ich nach Feierabend auf der Parkbank, es war kalt und Philipp Poisel fragte mich, wie eigentlich mein Himmel so aussieht. Ich legte den Kopf in den Nacken, über mir hingen die bereits kahlen Äste eines Baumes. Eine Papiertüte hatte sich in ihnen verfangen und dahinter standen rötliche Wolken, von den Stadtlichtern erleuchtet unter dem schwarzen Abendhimmel, der außerdem noch einen Vollmond trug. Und als mir so die kalte Herbstluft um die Nase wehte und ich die Blätter um mich rascheln hörte, wurde mir mal wieder bewusst, wie die Zeit vergeht, wie alles vergänglich und schneller vorbei ist als man glaubt. Wo ist nur der Sommer hin? Gestern saßen wir doch noch im Flugzeug und stiegen in die Sommerdemse hinaus nach der Landung am JFK-Flughafen. Wo ist der Sommer nur so schnell hin?

Hallo Wien…

…kommt dabei raus, wenn man einen der wohl wichtigsten Tage im Jahr, der den Amerikanern Anlass zum Feiern gibt, in einem schön ekligen deutschen Akzent ausspricht. Da muss ich gleich an die wunderbaren Fleischleiberl denken, die der Ösi-Gerhard uns letzte Woche gezaubert hat. Hmmmm….!!! Aber nun zum eigentlichen: Halloween! 31. Oktober, das noch auf nen Samstag und die US-Amis flippen aus. Die 6. Avenue in Manhattan, Schauplatz der Parade, zu der Leute aus aller Welt in abgedrehten Kostümen kommen und auf Wagen oder zu Fuß ne Riesenparty veranstalten. Das hatte irgendwie was von Loveparade.

Ein bisschen blau sind wir dann zum guten Schluss noch mit rauf auf die Straße und sind die letzten Blocks mitgegangen… um dann (was viel kuhler war) auf der 5. Avenue zwischen feststeckenden Autos und verzweifelten Polizisten einen eigenen Marsch zu veranstalten. Martini rausgeholt, über 20 Blocks Richtung Washington Square Park. Dieser Platz hat wohl irgendwas Anziehendes an sich.

Samstag, Nov 7, Brooklyn …da merkt man, dass die Leute da so ziemlich nur wohnen, sagte Lisa. Und trotzdem gab’s Himmel und Menschen. Unter anderem ne schwarze Braut in nem weißen Kleid + Hochzeitsgefolge. Im Kunstmuseum gab es dann für umme noch ne Musikveranstaltung mit hippen neuen Indie-Bands.

Sonntag dann bisschen planlos in Midtown herum geirrt, denn mein vorgesehener Plan ging nur teilweise auf. Ich glaube, ich eigne mich nicht so als Tourführer…^^ Naja, der Tagesabschluss war dafür für mein Verständnis perfekt. Am Seil hängend in einer Gondel flogen wir über die erleuchtete Stadt im Abendhimmel nach Roosevelt Island, eine Mini-Insel direkt auf der östlichen Seite Manhattans, die früher Irren und Kranken, heute mehr oder weniger normalen New Yorkern ein Zuhause gibt. Innerhalb von einer halben Stunde hat man das Teil einmal umrundet und begegnet vielleicht drei Autos. Ein paar Angler standen an der Promenade, an der Lisa und ich uns niederließen, um das Getümmel und den Lärm nur noch aus der Ferne wahrzunehmen und vorrangig die Lichter und den friedlichen Teil der Stadt zu betrachten. Ein Novembertag um die 20°C ging vorbei.

Aber der nächste, Montag, hielt erst den eigentlichen Knaller bereit. Handy klingelt, Anja, „Hey Caro, willst mit zum Spiel der Knicks im Madison Square Garden? …wir nehmen die Bahn kurz nach 6!“ So düsten Anja und ich also als Zelebrierung des Wochenbeginns mit dem Zug in die City, wurschtelten uns anschließend durch den Subwaydschungel, hindurch zwischen vielen gestressten eiligen Feierabend New Yorkern und kamen letztendlich auf ziemlich bonzigen Plätzen in der Arena zum Sitzen. Wider Erwarten hielt das Spiel im letzten Viertel tatsächlich Spannung bereit, was neben den Bespaßungsmethoden der Amis fürs Publikum während der Pausen echt Laune gemacht hat, aber letztendlich haben die Knicks ihre Serie von verlorenen Spielen fortgesetzt. Scheißegal: NBA für umme – wer wird sich da beklagen?! Ich nicht.

Thursday, October 29, 2009

Mal wieder Denken in der Silber Bucht

„[...]…and let birds fly above the earth across the face of the firmament of the heavens.“ (The First Book of Moses, Chapter 1, Genesis 1:20)

[Abriss zum Geburtstag im fernen Land – Das Ende des Teenager-Daseins..^^:

Zwar war es ein ganz normaler Arbeitstag für mich, aber schon am Morgen lag ein selbst gemaltes Bild meines 5-jährigen Gastsohnes auf dem Frühstückstisch, welches groß und breit in Kinderschrift CAROLiN auf sich trug. In der Karte von meinen Gasteltern steckte eine Zehnerkarte für den Zug in die Stadt. Eine nicht wahnsinnig persönliche, aber doch nicht zu undurchdachte, liebe Geste. Zwar musste ich kurz schlucken, als ich dann allein beim Frühstück, die Urlaubsfotos von Muddi aus dem Umschlag anschaute, von denen jedes einen typischen Mutti-Vers auf der Rückseite bereit hielt, aber am Nachmittag wurde alle wehmütige Stimmung wett gemacht, als ich DIE Szene meiner Kindheit wieder erlebt habe – nur jetzt erwachsen. Ich sehe noch das Kindervideo vor mir, auf dem mir Mutti demonstriert, was man mit Pusteblumen macht. Wie ein Depp stand ich da, als kleine einjährige Caro und habe erfolglos versucht, kräftig zu pusten. Heute war es Allison, die ihre Schnute verzog und sich bemühte, mich nachzuahmen. So flogen die plüschigen Teilchen vor der Abendsonne durch die 24° warme Luft und alles, was mich erfüllte, war ein Gefühl der Zufriedenheit und Überzeugung, genau richtig hier an diesem Ort zu sein und zusammen mit drei kleinen Kindern täglich diese große und komplizierte Welt ein Stück mehr kennen zu lernen. Trotz gerade mal zwei Monaten, in denen wir uns kennen, wusste die „Gäng“ schon sehr gut, dass sie mit einer Hello Kitty Kuscheldecke goldrichtig bei mir lagen… plus High School Musical Karte, die beim Öffnen Musik abspielt. Halleluja! Ein Abendessen im Diner um die Ecke beim Burger und Cola in illustrer Runde schloss den Tag mit viel Gelächter und Frohsinn ab. Außerdem war es die absolut richtige Entscheidung, meine Schlafrichtung zu ändern, denn jetzt wo ich beim Einschlafen aus dem Fenster sehen kann, hab ich trotz dunstigem, sternenlosen Vorstadthimmels die perfekte Sternschnuppe gesehen, um noch einen Wunsch abzuschicken.]

Freitag, 23.10.09, 23:19 Silver Bay, NY

Regen prasselt auf die Erde. Es klingt, als wenn Wasser durch die Wände fließt. Ca. 4 Stunden nördlich von Scarsdale – im absoluten Nirgendwo – beginne ich ein Wochenend-College-Seminar, ganz nach dem Motto „Fun, Fun, Fun“… so hieß es zumindest. Der erste Kurs morgen heißt „Creative Story Telling“.

Eine Fahrt über einen verregneten Highway liegt hinter uns. Speed Limit: 65 Mph. Wir fahren Strich 80. Wenn schon, denn schon. Nachdem mir zwei Stunden mein linker Fuß fast abgefault ist vom Nichtstun neben den Pedalen, kamen wir dann überraschend doch an einem zivilisierten Ort an. Ich hatte die Hoffnung fast schon aufgegeben, denn die Strecke nach der Highway Ausfahrt schien so abgeschieden, dass aus den Twilightwäldern rechts und links jeden Moment ein Bär hätte rausstiefeln können. Handys funktionieren hier nicht… außer man hält seine Hand an den Fahnenmast auf dem Campus, wie der grauhaarige Mike riet. Nach Inspektion unseres doch recht vornehmen Zimmers, – Luxushütte im Vergleich zur Au Pair Schule – gings noch schnell zum Willkommensschnack mit Mike und Anhang und nun sitz ich auf meinem Bett, lese Genesis der englischen Bibel, die wohl in jedem Zimmer zum Inventar gehört, und leises Tastengeratter dringt vom Laptop meiner Zimmergenossin Lisa über den schönsten Tinkerbell-Trick-or-Treat-Korb der Welt an mein Ohr. Der Kampf um die drei College-Credits kann also beginnen, mit Vorfreude auf die morgige Disco mit Kostümierung ganz im Halloweenstil.

Samstag, 23:53

Jei und jippey! Ich kann jetzt „bitch“ und „Scheiße“ in Amerikanischer Zeichensprache sagen. Der längste Kurs heute, „American Poetry“, hat mein Gehirn geweckt. Whitman, Dickinson & Co. – Dichter und Denker, die eine Art modernen Amerikanischen Schreibstil geprägt haben. Endlich mal wieder ernsthaft DENKEN. Ein Gefühl von Schule – und komischerweise außerordentlich angenehm. In unserer freien Zeit heute haben wir ein wenig das Gelände erkundet. Im Nieselregen trotteten wir am Ufer des Lake George entlang, in gelb und rot getaucht erschienen mir die Laubwälder auf den Bergen gegenüber als das friedlichste Bild, das ich seit Wochen gesehen habe. Außer Stille und Menschenleere erfüllten leichte Gedankenblasen die feuchte Luft um uns und alles war so wohltuend – spätestens der Gang durchs „Labyrinth“. Auf kleinster Fläche trugen unsere Füße uns den Weg entlang zur „Inneren Mitte“. Und ich lief und lief… Zu zweit auf diesem Feld - jeder ging seinen eigenen Träumereien nach - begegneten wir uns ab und zu, liefen aneinander vorbei, drifteten wieder auseinander. Es galt, nicht vom Weg abzukommen, um Pfützen balancierte ich über den schmalen Steinrand, um dann weiter auf dem weichen, von nassen Nadeln bedeckten Boden zu gehen, in der Hoffnung, nicht einzusinken oder mich hinzupacken. Alles Verbildlichungen unseres noch so jungen Lebens. Und ich lief und lief…

Bei der abendlichen Kostümparty hieß es Arme hoch – tanzen! Ne fiese Poison Fairy wollt ich sein. „Du siehst aus wie eine griechische Göttin.“ ...ja gut. Lisas Flügel tanzten durch die Luft und unsere Füße gaben alles, was noch in ihnen steckte.

Morgen gibt es noch mal zwei Kurse und dann düsen fünf Mädchen in der fetten Amikarre über den Highway zurück ins ferne Scarsdale. Ein Wochenende reich an neuen Bildern neigt sich dem Ende entgegen.

Thursday, October 15, 2009

Sparsam geschichtet

Geschichte 1

Normalerweise schleppe ich nur mein Baby mit zum Busstop von Hanson und Charlotte bleibt die fünf Minuten im Haus und guckt fern. Nun hat aber das Baby gepennt und Charlotte wollte mit. Also steh ich mit dem 3jährigen Mädchen an der Hand am Straßenrand, der Bus kommt, die Tür geht auf und die dicke schwarze Busfahrerin, die sich sonst immer am Baby ergötzt, glotzt mich unglaublich an, halt drei Finger in die Luft und fragt „Oooh, you have 3?!“ … ähm jo. Gibt auch Muttis, die mir müde erzählen, wie geschafft sie doch von ihrem einen Kind schon sind. ..verstehe.

Geschichte 2

Das erste mal seit ich hier bin, habe ich vergangene Woche mit Einheimischen in meinem Alter geredet. Endlich gab es mal das amerikanische lose Mundwerk hautnah zu erleben. Natürlich haben wir uns über Schimpfwörter unterhalten, wie das halt immer so ist, wenn man verschiedene Sprachen spricht. Die wichtigsten Flüche sollen hier also „fuck“, „piss“ und „shit“ sein, „motherfucker“ mal beiseite gelassen. Als deutsches Fluchwort Nummer 1 hab ich dann mal „Scheiße“ angegeben. Stimmt doch, oder?

Geschichte 3

An einem kühlen Vormittag dachte ich mir, geh ich mit den beiden Mädels mal in den Garten, ne Runde schaukeln. Die Sonne schien, die Mittagsmüdigkeit holte uns ein, gefördert durch die gleichmäßige Bewegung der Schaukeln. Da saßen also drei Mädchen verschiedensten Alters nebeneinander auf ihren Schaukeln und die einzige Äußerung, die Charlotte für 10 Minuten über die Lippen brachte (was äußerst ungewöhnlich für diesen Quälgeist ist), war, „Oouh yeah“.

Geschichte 4

Sonntag war Oktoberfest in der Nachbarstadt White Plains. Stück Straße abgesperrt. Zelt aufgebaut. Rummsmucke angemacht. Bier ausgeschenkt. Perfekt. Und Lisa, Cati und ich wären nicht Lisa, Cati und ich, wenn wir aus der Party nicht unsere eigene Party gemacht hätten. Drum haben wir gefeiert, zwischen den ziemlich abgefüllten Amis, die so was anscheinend nicht gewöhnt sind und haben lautstark der „Band“ applaudiert, deren Mitglieder aussahen, als wären sie gerade aus ihren Gräbern gestiegen – monoton, leblos drein schauende Oppas. Jedenfalls war es ein Fest. Zwei Bier und ich war glücklich. Zufrieden und irgendwie blau.

Geschichte 5

Ich fahre mit dem Van die Straße entlang, sehe schon von weitem den ziemlich fetten Amipolizisten in viel zu enger Warnweste. Dieser stand am Straßenrand und lief jedes Mal auf die Straße, um ein Stoppschild hoch zu halten, wenn jemand zu Fuß die Straße überqueren wollte. Selbst an Baustellen steht immer ein Bauarbeiter um ein Schild festzuhalten auf dem „Slow“ drauf steht. Das nenne ich doch mal Arbeitsplatzverschwendung.

Geschichte 6

Hanson: „Why do you have a band-aid on your finger?“

Ich: “I cut it with paper.”

Hanson: “Oh – that’s a papercut!”

(…dumm sterben werd ich bei diesen Kinder nicht)

Charlotte: „You have a Hello Kitty band-aid. I have those, too.”

(gut, dass ich ihr nicht gesagt habe, dass es eins von ihren war – da hätte die Hütte gebrannt. Die Kinder hier lernen nämlich nicht zu teilen. Zumindest nicht die dreijährigen.)

Thursday, October 08, 2009

Per Pedes durch den "Pimmel"

Samstag, 03.10.09, 10:30

Ein Schwarm Vögel zieht seine Kreise vor der wolkenverhangenen Sonne, wenn ich aus dem Fenster des Zuges zur Grand Central Station gen Himmel schaue. Es ist Oktober, es ist verhältnismäßig ziemlich warm und fast zwei Monate meines Auslandsaufenthaltes liegen hinter mir. Die Kopfhörer drücken mir Elektronisches von Stephan Bodzin auf die Ohren. Ein Stück Zuhause muss jeden Tag sein. Gestern Abend war es ein kühles Becks. Unbezahlbar, der erste Schluck. Vorbei an den typischen Backsteinblocks der Bronx, steuere ich in diesem Moment direkt einer Entdeckungstour durch den südlichen Teil Manhattans mit meinem Tour-Guide Lisa entgegen. Der Regen von letzter Nacht hängt zwar noch in meinem Kopf und mein träges Hirn arbeitet in Zeitlupe, aber das muss ja nichts heißen.

„…these streets will make you feel brand new, big lights will inspire you! ...now you’re in New York” (Jay-Z/Alicia Keys)

10:53 pm

Gleicher Ort bei Nacht. Der Zug fährt mich durch die Dunkelheit wieder “nach Hause”. Ich höre Radioheads „Blackstar“, von denen ich in einem abgeranzten Plattenladen in Soho eine Ansammlung aller, ja wirklich aller ihrer Alben auf Vinyl bewundern durfte. Irgendeine Schrummelmucke lief in dem Kabuff und die Verkäuferin hat nicht mal gegrüßt, aber trotzdem war es ein angenehm cooler Start für den Tag in der Stadt. Dumm nur, dass mir fünf Minuten später auffiel, dass der Kameraakku alle ist. Keine Fotos – schlechte Laune. Zumindest mal hab ich mich ziemlich geärgert. Nach Soho, führte mich Lisa dann nach Little Italy, Chinatown und East Village. Ebenfalls das ganze Inventar hätte ich im CBGB-Store kaufen wollen („CBGB“= Country, Blue Grass and Blues), einem Laden, der früher ein Club war, in dem Bands wie die Ramones, Blondie, The Police und so viele andere spielten. Signierte Schwarzweißfotografien aus vergangenen Jahrzehnten von Künstlern wie Angus Young oder David Bowie hingen an den Wänden, sowie E-Gitarren oder aus damaligen Konzertnächten überdauerte Stickerrückstände. Leider sind die Klamotten des Designers, der den Laden aufgekauft hat, nur für Männer. Heute war einer der wenigen Momente, in denen ich hätte das Geschlecht wechseln wollen. ^^ Chinatown, die größte Ansammlung von Chinesen außerhalb ihres eigenen Landes, fühlte sich wie angekündigt nach einer ganz eigenen, anderen Stadt an. Ähnlich wie Neukölln in Berlin. Lisa füllte die Tour mit ihrem anlässlich des heutigen Tages angeeigneten Hintergrundwissen und man lese und staune: ca. 55% der Chinatown-Bevölkerung spricht kein Englisch. Unter einem Schirm mit Leopardenmuster liefen wir gemeinsam durch strömenden Regen der City und patschten wie Kleinkinder mit unseren Gummistiefeln durch Pfützen. Merke: niemals bei Regenwetter ohne Gummistiefel in die Stadt gehen, denn die Pfützen auf Straßen und Fußgängerwegen können ungelogen knöcheltief sein. Ecke 1. Avenue / 11. Straße glitzerten die Regentropfen, die vom Himmel fielen im Sonnenlicht. Absolut synchron setzten wir beide ein ziemlich zufriedenes Lächeln auf und wären vor lauter Träumerei beinahe mitten auf der Straße stehen geblieben. Nach einem Kinobesuch im Village, gab’s zum Abschluss eine Fahrt auf der Fähre nach Staten Island. In der feuchtwarmen Abendbrise lehnten wir über dem Geländer und ließen die Millionen von Lichter auf uns wirken und stellten mal wieder fest, dass alles noch viel schöner wäre und mehr Sinn ergeben würde, wenn es noch ein paar mehr Menschen – die weit weg wohnen - miterleben würden.

Mittwoch, 07.10.09

Zum Sonntag sag ich nur Folgendes:

Catarina: „Caro, was hast du eigentlich für eine Augenfarbe?“

Caro: „..ähm.. pff.. hm naja….“

Lisa R.: „Na so blau und grün mit so durchfallbraun in der Mitte“

Unser Sonntagsplan:

Rein in den Zug, Karte von Manhatten (oder auch gern „Pimmel“ genannt) gezückt, Spontanität zeigen.

Ein Markt die Lexington Avenue rauf mit dem leckersten Frucht-Smoothie, den ich jemals probiert habe, die 1. Avenue wieder runter (von der ca. 50. Straße bis weit unter die 1.), auf der wir in einen übern kultigen Plattenladen von einem übern alten Platten-Opi gestolpert sind (Foto), die Entdeckung einer ziemlich runter gekommenen Psychoklinik in einer Seitenstraße, der Ekelteil von Chinatown mit einer extrem gruseligen Dreifach-Begegnung mit einem Penner der üblen Sorte, der von Lisa und Cati auf dem Nachhauseweg liebevoll „Erdmännchen“ getauft wurde, weil sein unförmiges Gesicht mit Erde und Dreck bedeckt zu sein schien, als Highlight zu Fuß auf die Manhattan Bridge.

Lustigste Unterhaltung des Tages heute (Mittwoch):

„Charlotte, what’s wrong?“

„Hanson hurt my feelings!!!“

„Charlotte, people can not hurt someone’s feelings by taking away a ball when you play soccer.“

Monday, September 28, 2009

Gen Süden / „I sell marihuana“ & „Schnitzel is okay, but Schweinshaxen is fuckin’ great shit!“

Donnerstag, 24.09.09, 17:58

Ich sitz am Fluss am Fuße des „Hügels“, auf dem ich wohne. Dieser Bronx River stinkt nach Fisch und dementsprechend steht ein Reiher, der komischerweise weiß ist, am anderen Ufer. (Wie ekelhaft, gerade ist ein Riesenfisch oder so aus dem Wasser gesprungen.) Auf der anderen Seite rauscht der abendliche Feierabendverkehr über den Bronx River Park Way, hinter mir joggt ab und zu jemand lang und ein Zug kommt auch hin und wieder vorbei. Umzingelt von der Zivilisation, sitz ich, anstatt auf der Bank, ein paar Meter weiter direkt am Ufer und Jack Johnson düdelt aus dem Player. Meine Zigarette fühlt sich nach Feierabend an, obwohl ich die Kinder in einer Stunde wieder von der Babysitterin abhole. (Zwei Stunden hab ich heut Ruhe vor ihnen. Nachher geht’s weiter, da die Eltern auf ein U2 Konzert gehen… der pure Neid.) Die letzten Sonnenstrahlen kommen durch die Bäume. So ist das. Die Amis laufen in den Park, um zu joggen. Ich fahr mit dem Auto hin, um im Dreck sitzend eine zu rauchen. Auf diesen Gesundheitszug werd ich hoffentlich auch nicht aufspringen. Bisschen Brandenburg-Style muss sein. Ansonsten bin ich ziemlich fertig von den letzten vier Tagen. […] Ich denke an das vergangengene Wochenende zurück, das mit meinem ersten Kinobesuch hier begonnen hat. „Love happens“ – selten so’n langatmigen Film gesehen. Mittlerweile hat das Spätsommer-Sonnenbrillen-Pullover-Wetter eingesetzt und so chillten wir mit einem Banane-Schoko-Kuchen anlässlich Kerstins Geburtstag im Irvington Park am Ufer des Hudson Rivers, der ein atemberaubendes Panorama bot mit absolut freier Sicht auf Manhattans Skyline in weiter Ferne. Abends entschieden wir uns für einen kurzen Besuch auf dem Rummel, der als wir gegen zehn ankamen schon dicht gemacht wurde und dessen Gäste in Form von Footballjacken tragenden Highschoolkids schon das Feld räumten bzw. einige von Muddi abgeholt wurden. Sonntag rief auf ein Neues der Irvington Park und auf dem Weg dorthin sprangen Lisa und ich kurzerhand aus dem Auto um für je 50 cent eine Limonade und einen Eistee bei zwei 11-jährigen Jungens zu kaufen, die ihren Stand direkt vor der Haustür aufgebaut hatten. :-) […] Ouh ja, Miley Cyrus „Party in the USA“ sagt der Player und gleich les ich noch ein wenig im Twilight-Buch. Besser kann ein Amerikanischer Teenie-Tag doch nicht enden. Ein bisschen Kind sein am Tag muss ja auch mal sein, nachdem ich 10 Stunden allein erziehende Mami von drei Kleinkindern gespielt habe, denen ich „schon“ ein deutsches Wort beigebracht hab - Katze. In den letzten fünf Minuten wurde ich von bestimmt 10 Mücken gestochen (die deutschen Viecher mochten mein Blut nicht – toll!) und von 8 Joggern, sowie 7 Fahrradfahrern dumm angeguckt. „Ja, ihr Freaks, ich guck halt lieber ’nem Ekelvogel dabei zu, wie er dumm in der Gegend rum steht.“ Die fetten Amikarren brummen immer noch über den Park Way und ich versuche immer noch mein Hirn zu entspannen, bevor ich wieder zehn mal erklären muss, warum Hanson kein „Playdate“ mit seinem Best Buddy haben kann um die Uhrzeit.

Sonntag, 8:06 pm, im Tigerentendeutschland hat die neue Woche schon begonnen.

Ein wunderschönes Wochenende geht zu Ende. Samstagmittag zog es uns zum Jones Beach nach Long Island, einem der größten und, wie man sagt, „schönsten“ Strände an der Ostküste. Im tiefroten Lexus flogen wir über den Highway gen Süden, Brücken trugen uns über die Wasser- und Insellandschaften des Küstengebietes und über uns stand die Sonne. Mit Sonnenbrillen und Schals bewaffnet erreichten wir dann einen Strand, der ungelogen aus „Bay Watch“ oder „O.C. California“ hätte sein können. Trotz kaltem Wind ließ ich es mir nicht nehmen, meine Füße in den Atlantik zu stecken. Mit ein bisschen Chillen, Picknick und Schlaf bereiteten wir uns die folgenden Stunden auf die uns bevorstehende Nacht in Manhattan vor.

Zum ersten Mal seit den letzten Schlucken Wein in Deutschland trank ich an diesem Abend Alkohol, was ich aber auch genauso gut hätte sein lassen können. Wirkung blieb aus. Kurz vor 12 empfing uns die Webster Hall, nach meiner Premieren-Taxi-Fahrt in New York City. Thema des Abends war Circus. Somit rannten komisch bemalte Menschen durch die Gegend, was aber unwesentlich das typische Discoambiente beeinflusste. Viele Menschen, viel Gedrängel, viel Rumms-Mucke und unfassbar aufdringliche männliche Gäste. Aber wir wussten schon, wie wir uns einen lustigen Tanzabend machen. Das konnte uns keiner nehmen... einfach mal Hände in die Luft und abgehen! Es gab auch mehr oder minder interessante Menschen, z.B. ein Londoner, der kein Wort Deutsch spricht, aber an unserem Akzent erkennen wollte, dass wir aus Berlin kommen und Schweinshaxen, sowie Hefeweizen für „fuckin’ great shit“ hält. Spannend war auch der Black Floor im Kellergeschoss, der fast ausschließlich von Schwarzen besucht war. Es war wärmer als auf den anderen klimatisierten Floors, es roch anders und irgendwie fühlte ich mich wie die in „Save The Last Dance“ betitelte Milch, die sich versuchte mit Öl zu mischen. Lachend sagte Lisa „Ich bin einfach zu weiß für den Scheiß.“ Und trotzdem war es einfach nur ein Vergnügen, das Spektakel als unsichtbares europäisches Mädchen zu beobachten. Die zur Musik mitrappenden Jungs auf der Bühne, die der Tanzmeute einheizten oder die, ich nenn es mal „Paartänze“, wie man sie aus Ghettoclubs in Hollywoodstreifen kennt.

Nachdem wir uns ausgetanzt hatten, ging es dann zu Fuß bzw. mit der Subway Richtung Times Square, der, sagen wir mal, menschenleer war. Im Regen standen wir auf einer Verkehrsinsel in Mitten der Riesen-LED-Wände. Ich murmelte mich noch ein bisschen tiefer in meinen Poncho und schmeckte die bitteren New Yorker Regentropfen, die warm auf uns herunter fielen und irgendwie genoss ich eine der letzten warmen Sommernächte in diesem Jahr. Vor McDonalds, der noch von wenigen anderen Nachtschwärmern besucht war, hielt ich um fünf Uhr morgens dann noch ein Pläuschchen mit einem ca. 45-jährigen, ziemlich runden Jamaikaner, der sofort, wie übrigens jeder andere auch hier, erkannt hat, woher wir kommen, noch unterwegs war um die Zeit, um Marihuana zu verkaufen, und der, wie er sagte, sich vor den deutschen Frauen fürchtete, da sie so groß seien.

Heute bin ich dann mit Lisa R. in die Über-Mall auf der anderen Seite des Hudson Rivers gefahren, da unsere müden Körper zu nichts anderem als zum Shoppen zu gebrauchen waren. Erstmals legte sich der penetrante Parfumdunst im „Abercrombie & Fitch“ auf meine Zunge, welches ein überteuerter Klamottenladen ist, der Menschen an der Kasse zu stehen hat, die Roboter zu sein scheinen, die dafür programmiert wurden, dass man sich in sie verliebt, so gut aussehend waren sie. Nochmals einen Spaziergang im warmen Abendgrau durch den Regen wagten wir heute Abend. Bagels schmatzend werteten wir das Wochenende aus.

Friday, September 18, 2009

„Why are you so sad?”

Dienstag, 15. September ’09, „School Lane“ in Scarsdale, NY, 12:38 pm

Pancakes futtern, kalten Eistee schlürfen und weiter meinen Zuckerspiegel am oberen Limit halten – das ist meine Beschäftigung in diesem Moment. Eine Stunde hab ich totzuschlagen, hier im Schatten irgendeines Busches im Garten der Musikschule. Charlotte bestreitet ein paar Meter von mir entfernt ihren zweiten Vorschultag, der Jüngling ist nur morgens und nachmittags kurzzeitig unter meiner Fuchtel, ansonsten im Kindergarten und den Schreihals hab ich über die Mittagsstunde einer anderen Babysitterin aufgebrummt. So lässt sich’s leben. Derweil springt noch ein Eichhörnchen ziemlich spastig über den Rasen. Nicht sehr ansehnlich. Ich mag unsere rotbraunen zu Hause lieber. Außerdem gibt es die hier im Überfluss, so wie alles andere auch. Regale mit Cornflakes in galaktischen Größenordnungen, ein fünfminütiger Fußmarsch vom einen Ende der Süßwarenabteilung zum anderen, ca. 100 verschiedene Duschgelsorten. Als ich am Samstag Lisa besucht habe und wir gemeinsam in Mount Kisco dinnieren und einkaufen waren, hätte ich im Stehen einpennen können, als wir aus dem Target-Supermarkt rauskamen, nachdem ich für jeden simplen Artikel eine halbe Stunde gebraucht hab, ihn auszuwählen. Ich sag nur Reizüberflutung.

Am Sonntagmorgen trafen sich dann mehrere hundert Au Pairs in Manhattan, um eine Schnitzeljagd zu absolvieren. Pizza Hut Servietten, Starbucksbecher, Bahnfahrpläne, Einkaufstüten bestimmter Läden – all solchen Quatschen mussten wir zusammen sammeln und nebenbei noch viele Fragen über die Stadt und berühmte Filme beantworten - und das innerhalb von zwei Stunden. Gut tot sind wir danach zu dritt, nachdem jeder aus unserer Gruppe einen $5-Starbucksgutschein gewonnen hatte, zum Bryant Park hinter der großen Bibliothek (die man aus Filmen wie „The Day After Tomorrow“ kennt) geschlurft, der uns neben einem Karussell in Mitten vieler kleiner Tische ein interessantes Ambiente bot, das Drumherum zu beobachten. Es sei zu erwähnen, dass in diesem Park das Zelt aufgebaut war, in dem Modenschauen der Fashion Week stattfinden. Dementsprechend liefen bohnenstangige Models, komische Stylerphotographen und wichtige Securities mit Kleiderständern auf Rollen in der Gegend herum. Ein ähnliches Gewusel wie am Times Square, wo wegen der MTV VMAs Teile der Straße gesperrt wurden für Außenbühnen und Kreischifans am roten Teppich und so. Anstatt Lady Gaga und Co. aus Limousinen steigen zu sehen, chillten wir lieber im schattigen Park. Lisa stiefelte mit meiner Kamera durch die Gegend und schoss begeistert über 100 Fotos, ich schrieb Postkarten und so genossen wir die Ruhe unserer eigenen kleinen Seifenblase, in der wir uns zwischen dem hastigen Gewirr der Großstadt, erschöpft und zufrieden eingefunden hatten.

23:05 hier, fünf Uhr morgens zu Hause

Meine Augen brennen. Der Tag war lang. Die Leipziger Lisa, die mich ein wenig beruhigt und belustigt hat nach fragwürdigen Ereignissen mit meiner Gastfamilie, ist gerade aus der Tür. Es ging noch gut zur Sache nach der ruhigen „Mittagspause“. Der schönste Moment war, als ich die beiden schnarchenden Mädchen auf meinem Arm in ihre Betten getragen habe, damit sie zwei Stunden dieses sonnigen Tages im Traumland verbringen konnten. Klingt doch schön. Das können sie, die Amis. Etwas schön verpacken, sodass es keiner rafft.

Morgen soll es Regen geben.

***

Nach einem langen Tag…

Ein bittersüßer Moment

Laternenlicht

Ein leeres Basketballfeld

Der Nachtzug in die Stadt rattert vorbei

Die Schaukel schwingt mich

Zigarettenqualm

Die wehende Flagge am Pfahl über mir

Eine Schramme im Blech

Ein Loch in meinem Kopf

Die Dunkelheit macht müde

und bringt mich zu Bett

***

17.09.09, 19:50, auf meinem Sofa

…und der Regen kam.

Gestern hatte ich den ersten Autounfall meines Lebens. Ich hatte schon Feierabend und wollte vom Playdate nach Hause düsen. Rückwärts aus der Auffahrt fahrend, am Diskutieren mit den Kindern, gestresst und durch nach dem langen Tag und mit dem Verlangen, schnell nach Hause zu kommen, bin ich also gegen ein auf der Straße geparktes Auto gefahren. Meine Nerven waren so schon nicht mehr die besten und so hab ich nicht meine volle Aufmerksamkeit dem Ausparken gewidmet. Bin dann halt schnell zur Haustür des Autobesitzers gerannt, beim Klingeln schossen mir schon die Tränen in die Augen. Gastvater angerufen. Kinder zurück zu Manu ins Haus geschickt, von denen Charlotte mit großen Augen, wie dreijährige so was eben machen „Why are you so sad?“ fragt. (Die haben gar nicht mitgeschnitten, dass es gerummst hat.) Als mein Gastvater dann kam, hat er irgendwas mit dem anderen Typen bequatscht, wie sie das nun klären und so. Derweil hab ich auf heißen Kohlen drinnen gesessen und meine 1000 Gedanken standen kopfüber und ich war wie unter Wasser. Ich hab’s für’n Scherz gehalten, als er meinte, ich könne die Kinder nach Hause fahren mit dem Van. Wahrscheinlich extrem unverständlich hab ich ihm dann unter Schluchzen klar gemacht, dass ich will, dass die Kinder sicher nach Hause kommen… Ich hab innerlich gebebt, weil alles durcheinander war. Für einen Außenstehenden klingt das vielleicht übertrieben oder unverständlich, aber in dem Moment kam einfach alles hoch – der ganze Stress der letzten Wochen. Ich habe noch nie einen Unfall gebaut, und dieser war nun ein eindeutiges Zeichen dafür, dass ich nicht ganz bei der Sache bin und vielleicht mal wieder zu viel auf einmal von mir verlangt habe.

Ich bin seit drei Wochen in der Familie, arbeite jeden Tag 10 Stunden, gehe abends noch mit Freunden aus, da ich einfach am Tag auch was anderes sehen muss als nur dieses Haus und die Kinder, schlafe wenig, habe schwierige Gespräche mit den Gasteltern, da drei Kleinkinder kennen zu lernen und zu koordinieren, viel Zeit und Reden braucht, nehme mir alles gleich zu Herzen und außerdem sprechen sie immer noch eine andere Sprache, verbring meine freie Zeit viel am Computer und berichte nach Hause, bin die Wochenenden meist unterwegs, unausgeschlafen, weil ich was vom Tag haben will, lass meinen Kopf nie richtig ruhen. Wenn ich ins Bett gehe, lieg ich eine Stunde lang wach, weil ich über die Planung des nächsten Tages nachdenke, oder wie ich am besten bei meinen Gasteltern ansprechen könnte, was mit den Kinder schwierig ist, was ich mir von ihnen wünschen würde, warum ich mich einfach (noch) nicht, wie ein Familienmitglied fühle, wie ich mir Collegekurse organisiere, wo ich hinreisen will, was ich sehen will. Alles kreuz und quer.

Das alles und die ganzen Zweifel, ob das hier auch richtig so ist, ob mein Leben momentan typisch und normal ist für das eines Au Pairs und ob das Unwohlsein nur eine Frage der Zeit ist oder ne Phase oder was weiß ich… und natürlich ein bisschen Heimweh – das kam hoch, ausgelöst dadurch, dass das Blech des Familienautos eine Beule in dem des anderen fabriziert hatte.

Als ich nach Hause kam, hab ich erstmal ne Stunde mit Muddi telefoniert. Musste sein. Und als es dann schon dunkel war, hab ich meine Kopfhörer aufgesetzt, die Musik aufgedreht, bin den Hügel runter gelaufen, zum Spielplatz, im Regen, hab eine beruhigende Zigarette geraucht und einfach versucht, durchzuatmen.

Ziemlich aufregende Woche liegt da hinter mir. Morgen, freitags, wird’s gechillter und das Wochenende wird hoffentlich schön und entspannt. Voller Ruhe und doch reich an Erlebnissen. …aber hier weiß man ja nie.

Friday, September 11, 2009

$9,57, 11. September und 2 oder 3 Regentropfen

10. September 2009, 11:10, Scarsdale, NY

Ich sitze an der Stirnseite der leeren Tafel im dunkelrot gestrichenen Esszimmer, draußen wiegen sich die Bäume im Wind und die ersten gefärbten Blätter flattern im Sonnenlicht über die Straße. Seit zwei Minuten ist in diesem Haus wieder Ruhe eingekehrt, denn ich habe mein erstes Time-out verteilt. Eine Viertelstunde lang drang also ohrenbetäubendes Kinderkreischen aus dem rosafarbenen Prinzessinnenzimmer im ersten Stock. Ein waschechter Bock mit pinken, von Glitzersteinen überzogenen Hörnern. Und bevor "Big H" aus der Schule kommt, der übrigens gestern in der Küche mit seinem Kumpel zu Incubus Luftgitarrre gespielt hat, während das Baby auf meinem Schoß so etwas Ähnliches wie Headbangen veranstaltet hat, kann ich ja mal wieder einen Schlag erzählen – über das „unglaubliche“ Amerika.

Wie diese Auszeit für meine Gasttochter, ist die letzte Woche insgesamt so viel zum ersten Mal passiert. Ich habe zum ersten Mal Eis aus einem runden Pappbecher gegessen, wie die dicken Depri-Muttis aus amerikanischen Sitcoms, ich habe meine erste Kreditkartenzahlung vorgenommen (für $9,57.. :-P), der Schreihals wurde erstmalig von einer Wespe gestochen, ich hab das erste mal hier verpennt und ich war natürlich endlich mal auf eigene Faust in New York City, einschließlich Subway fahren und im Central Park chillen, wobei mich keines von beiden vom Hocker gerissen hat. Freitagabend hab ich endlich mal wieder meine Lisa in die Arme nehmen können um dann das ganze Wochenende mit ihr zu verbringen. Zwei Lisas und eine Caro sind also Samstagmittag eine halbe Stunde mit der Bahn nach Manhattan getingelt. 5th Avenue runter, Richtung Broadwaykreuzung, ins Greenwich Village bis zum Washington Square Park, unter dessen „Washington Arch“ mein Herz lauter schlug. Der Drehort von „August Rush / Der Klang des Herzens“ umgab mich und wären alle Menschen vom Platz verschwunden, hätte nur der „Moondance“ gefehlt.

Der sonntägliche Höhepunkt war der Rückweg vom Central Park, die Park Avenue hinunter. Lisa und ich, zwei Mädchen, die in seliger Ruhe, zur Abwechslung mal ohne Menschenmassen um sich herum, an snobbigen Hauseingängen mit Foyer-Fuzzis vorbei schlendern und zwei, drei echte NYC-Regentropfen abbekommen. – Ein Traum!

...00:17 (11.September)

Neue Fragen haben sich mittlerweile aufgetan. Warum bekommt man in jedem Laden seinen Einkauf, verteilt auf 50 Plastetüten? Warum können Amikinder nur in einem Auto einschlafen, dessen Motor läuft? Warum kann ich im Sommer in einem Restaurant nirgends draußen in der Sonne sitzen und muss mir bei Klimaanlagenluft den Arsch abfrieren? - Dieses Land ist das Land der Verschwendung –

Morgen ist der 11. September – der Geburtstag meiner Gastmutter. Hab ich schon erwähnt, dass mein Gastvater mit mir demnächst gemeinsam Geburtstag hat? Zufall? Geburtstage feiert man. Wer makaber sein will, lässt morgen in der City richtig die Sau raus. Ich nicht. Ich muss arbeiten.

Der erste Tag ohne allabendlichen Ausgang geht zu Ende. Hör mich schon an, wie ein Hund, der gassi geführt werden muss. Ich freu mich jetzt schon auf das halberfrorene Erwachen morgen früh. …Hoffentlich packen’s meine drei Wecker.

Monday, August 31, 2009

Drei Big-Mamas und das weiße Mädchen

„Ich will auch keinen Brief mehr schreiben. Wozu soll ich jemandem sagen, dass ich mich verändere? Wenn ich mich verändere, bleibe ich ja doch nicht der, der ich war, und bin ich etwas Anderes als bisher, so ist klar, dass ich keine Bekannten habe. Und an fremde Leute, an Leute, die mich nicht kennen, kann ich unmöglich schreiben.“

(„Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge“, Rainer Maria Rilke)

...

Baltimore, Maryland, August 29, 2009 - 12:49 am

Ich sitze auf dem Bett eines kleinen Zimmers mit rosa-weiß gestreiften Wänden und ziemlich hässlichen, puffigen Blumengardinen vor den Fenstern, durch welche Gezirpe von Käfern und Grillen dringt. Wenn ich hindurch schaue, sehe ich ganz düster Stege der anknüpfenden Wassergrundstücke, im Wasser stehende Pflöcke und in weiter Entfernung Lichter am anderen Ufer der Bucht. Ich schmatz derweil mit importierter Schoki rum und mein Kulta-Shirt riecht noch nach Deutschland. Ein Wochenende im Sommerhaus meiner Gastfamilie kann also beginnen, das mir vielleicht Ruhe lässt, die über die letzten zwei Wochen angestauten 100000 Bilder und Eindrücke zu sortieren, die so rasant und brutal auf mich nieder geprasselt sind.

Alles ist ganz durcheinander.

Abend-Ausverkauf bei Dunkin Donuts – zwei fette Tüten mit Muffins und Donuts für 5$.

„Entschuldige meine behinderten Ergüsse um die Uhrzeit!“

Die dicke schwarze Frau, die an der Kasse bei TJ Maxx ansteht (einem riesigen, unordentlichen Outlet), sich umdreht und anfängt über ihre lustigen Unisex-Spongebob-Shorts zu quatschen, die sich doch so cool zum Schlafen eigneten und dann noch eine Entscheidungshilfe braucht, welche Handtasche sie nehmen soll – die graue oder die eher hellbraune?

Der Spontankauf eines absolut kitschigen grünen Glasapfels, nur um des Grüns Willen – ich geh doch kaputt in meinem blauen Zimmer.

„Ich mag dein loses Mundwerk!“

Mein Gastpapi, der tatsächlich fragt: „Do you have Mosquitos in Germany?“

Überall Mückennetze an den Fenstern – ich komme mir so eingesperrt vor.

Unnütz laufende Autos.

Supermarktregale in außerirdischen Dimensionen – für künstliche Blumen.

Automaten, die für $1 eine DVD für eine Nacht ausspucken.

Vor Abfahrt heute und nach „Dienstschluss“ hab ich mal den Weg am Fuße unseres Hügels erkundet, der entlang des Bronx Rivers verläuft. Es hat geregnet und ich bin wie ein Kind mit meinen Gummistiefeln durch die Pfützen gepatscht. Zum ersten Mal seit zwei Wochen, war ich draußen irgendwo mal ganz allein. Nur ich und die Musik. Und wieder kam ich mir vor wie im Film. Wahnsinnig hohe Bäume wachsen entlang des Flusses. Dieser Wald erinnert mich so an Twilight. Voller Regen, grün, dunkel und so verdammt verschwiegen. Und zum ersten Mal seit Jahren bin ich spazieren gegangen, ohne eine Zigarette zu rauchen. Ich lebe so gesund. Ziemlich abartig. Kein Alkohol, keine Zigaretten, jeden Tag Obst (uäh?!), spazieren gehen, früh schlafen. Was’n da los?!

Als wir im Dunkeln dann losfuhren und nachdem die drei Quälgeister um mich herum eingeschlummert waren, staunten meine Augen nicht schlecht über die George Washington Bridge zwischen New York und New Jersey. Ein ähnliches Lichtermeer bot Manhattan in der Ferne. Auf dem Highway fiel mir mal wieder auf, dass es doch erst die Lieder sind, die Momente so besonders machen. „Ain’t no mountain high enough“ strahlte mir in die Ohren und so wie in diesem Augenblick, kehrt bei mir insgesamt allmählich ein Glücksgefühl ein.

Gestern, auf dem Weg mit Svenja zu TJ Maxx lief „Sometimes Love“. Amerikanischer Massenpop, die Sonne stand uns ins Gesicht und wir glitten die Central Avenue entlang - auf direktem Wege ein paar Monaten Spaß und Wahnsinn entgegen.

Die coolste Begegnung der Woche, war ein zufälliges Babysittertreffen im Park. Alle Kinder waren beschäftigt und so saß ich mit drei schwarzen Babysitterinnen in der Gegend rum und ließ mir vom Klatsch und Tratsch unserer Nachbarschaft berichten. Es hatte was von einem Nachmittag in der Bronx. Drei dicke Big-Mamas, die, während die Kinder kreischend drum herum liefen, im Schatten der Bäume schnattern, lästern und einem weißen Mädchen verklickern, wie der Hase so läuft – hier in der Vorstadt von New York City!

6:21 pm

Ich schwinge auf der Hollywoodschaukel unter einem großen Baum am Ufer der Bucht. Sonnige Abendluft füllt meine Lungen und meine erste in den USA erstandene CD düselt vor sich hin. Lifehouse, „Who we are“. Ich habe heute bei Walmart meinen ersten „Shop“ absolviert. „Gute Frau, wo kann ich einen Fön finden?“ „Bei den Staubsaugern – believe it or not!“ Die Leute hier haben wirklich Humor.

Gleich gibt es Krabben, die mein Gastvater heute gefangen hat und gerade mit seinem biertrinkenden, kräftigen mid-zwanziger Cousin zubereitet. Egal, wie es schmeckt – ich glaub, dann leg ich mir so ein Trottel-Shirt mit einer Krabbe und der Aufschrift „I had crabs in Baltimore“ zu, welches ich heute in Baltimore City gesehen hab. Das Jahr der Style-Vaupas hat schließlich begonnen. Wer sagt hier schon, was sich gehört und was nicht?

Ähnlich begeistert bin ich von den Radio-Stationen hier. Der eine Sender hat heute schon allein drei verschiedene Lieder der Smashing Pumpkins gespielt. Meine Gasteltern haben beide zu The Offspring mitgesummt und –gesungen.

Im Fastfood-Restaurant „Five Guys“ dachte die Bedienung heute wohl ich bin völlig deppert, wahrscheinlich weil ich keinen wahnsinnig starken Akzent habe und immer ziemlich blöde nachfrage, wie das bei denen so funktioniert, denn hier herrschen ganz andere Sitten, was Gastronomie anbelangt.

Der nächste durchgeknallte Ami ist mir in den letzten Minuten begegnet. Ein Hund namens Harley, benannt nach Harley-Davidson, der mir immer einen Tennisball vor die Füße legt, damit ich ihn ins Wasser kicke und er ihn mir wieder bringen kann.

Sonntag, 11:05 pm

Manhattans Lichter zu meiner Rechten… wir rauschen über den Highway, im Radio läuft irgendwas von Nickelback. „…if today was your last day“. Die Kinder schlafen tief und fest und meiner Gastmutti fällt alle drei Minuten der Kopf nach vorne.

So langsam raff ich’s, glaub ich. Ich bin hier. Ich bin angekommen.

Ein entspanntes Wochenende liegt hinter mir. Mit Krabben schlemmen, buttrige Maiskolben abknabbern und im Motorboot quer über die Chesapeake Bay brettern. Was ist denn das für ein Leben, wenn die Sonne auf mich runter scheint, mir die Seeluft in die Nase steigt, meine Haare im Wind durch die Gegend flattern und das Boots-Radio Pearl Jam ausspuckt (schon der unfassbar guten Radiosender wegen, muss man es hier mögen) und das einzige, worüber ich mir Sorgen machen muss ist, dass… ähm.. pff.. keine Ahnung? Vielleicht, dass ich mein Geld, anstatt für Zigaretten nun als Ausgleich für Schokolade ausgebe und deswegen arm und dick werden könnte?

Eine recht kurze Woche liegt vor mir, denn der Freitag macht seinem Namen alle Ehre. Ein langes Wochenende inklusive einem absolut leeren Haus.

Mein deutscher Pessimismus sagt mir, dass irgendetwas hier nicht richtig läuft…