Sunday, June 27, 2010

Hässlich seltsame Begegnungen im Zug und andere Gründe zum Feiern

„Es sind die Begegnungen mit Menschen, die das Leben lebenswert machen“

(Guy de Maupassant)

Scarsdale, 26. Juni 2010, 22 Uhr

Ist es nicht tragisch, dass ich mehr als 10 Monate gebraucht habe, um zu einer schönen Gewohnheit zurück zu kehren? Ich habe mir gerade eine Flasche Wein aufgemacht und dümpel bei Chillermusik ein wenig in meinem zum Glück klimatisierten Dachboden der Nacht entgegen. Ein interessanter Samstag geht auf sein Ende zu. Nach Auspennen und einem Fast-Erstickungstod am Bahnhof, verschuldet von einem Schluck Wasser, trieb es mich ins Museum des International Center of Photography, welches kuhle Ansammlungen von Schwarzweißfotos bereit hielt, sowie eine Ausstellung zum Thema Civil Rights Movement, dem Kampf für Rassengleichheit und Gerechtigkeit in den USA. Außerdem gab es einen Raum, in dem Fotografien einer deutschen Künstlerin ausgestellt wurden, die ihre Begeisterung für missgebildete Neugeborene bzw. Föten visualisiert hat. Mich hat das eher missgestimmt. Einem kleinen Mädchen mit geflochtenen Zöpfen hat’s gefallen. Die betrat den Raum und kreischte freudestrahlend „Oooh, Dinosaurierrr!“. Als ich später durch die stickige, mit ihren Millionen unterschiedlichen Gerüchen bzw. Gestänken angereicherte Luft von New York City flanierte, mich kühlend mit dem besten Kiwi-Erdbeer-Smoothie dieser Erde, die sechste Avenue hinunter, zwischen Marktständen für Klamotten und kulinarische Spezialitäten aus verschiedenen Ländern, entdeckte ich den braungebrannten, muskulösen Griechen mit unerlaubt schönem Gesicht namens Jimmy, dessen wirklicher Name Dimitrios ist (äh?), welcher des Öfteren beim Starbucks rumhängt. Entschuldigung, aber den Typen könnt ich einfrieren und in eine Vitrine stellen. Er arbeitet zufälligerweise am Wochenende an einem Gyrosstand. Macht Sinn, ne? Jedenfalls überwand er seine Verwirrtheit, mich hier zu sehen und bemerkte dann mit seinem breiten Lächeln, wie „süß“ ich doch heute aussehe (Geht einem da nicht das Herz auf?) und berichtete mir gleich lachend von einem schwulen Schauspieler, der in einem Film mit Nicolas Cage auftaucht und gerade zu ihm angekommen wäre und ihn um ein Date gebeten habe. Ich wünschte, ich könnte diesen angewiderten Blick beschreiben, den Männer auflegen, wenn sie darüber nachdenken, Opfer eines Andersgesinnten zu werden. Ist es nicht schön, dass man sich in dieser Stadt, erst recht in Chelsea, dem Schwulen- und Lesbenviertel schlechthin, in dem wir uns schließlich gerade befanden, trotzdem noch über solche seltsamen Begegnungen amüsieren kann? Ein wenig später im Washington Square Park, der Ort, der MEIN Herz der Stadt ist und immer bleiben wird, saß ich, einen Jungen, auf grün angesprühtem BMX-Rad, beobachtend, mit meiner qualmenden Zigarette und bekam einen Flyer in die Hand gereicht, der für einen Super-wie-eklig-gesundes-organisches-Essen-Laden wirbt. Innen war dann neben einem Anti-Koffein-Zeichen unter anderem auch ein Bildchen mit einer durchgestrichenen Kippe mit der Aussage „Smoking is out!“. Es folgten viel zu lange Predigten über gesundes Leben und als ich groß das Wort JESUS las, hätte ich dem Heini den Wisch am liebsten wieder hinterher geworfen.

Mein nächstes Highlight gab es in der U-Bahn. Krachend voll, dementsprechend eng aneinander gedrängte Menschen. Schräg hinter mir ein ranziger, alter Typ mit öligen nach hinten gekämmten, zu einem Zopf zusammengebundenen Haaren, den anscheinend ein dreifaches Delirium heimgesucht hatte. Mit halb geöffneten Augen sackte er alle paar Minuten im Stehen in sich zusammen bzw. kippte nach vorne – mir näher kommend und auf die Pelle rückend. Es war zwar kacke eng im Zug, aber als sein Mund tatsächlich fast meine Schultern berührte und aus mir nur ein angeekeltes, leicht hysterisches„Excuse me?!“ raus kam, zuckte er erschrocken auf, aber sank nach wenigen Sekunden wieder auf hervor gegangene Art und Weise zusammen.

Aber vergessen wir den Grusel… Was gab es eigentlich noch so in der letzten Zeit? Ha! Da fällt mir doch gleich die nächste Subway-Story ein. Letztes Wochenende, auf dem Weg nach Coney Island, einem Strand in Brooklyn, der tatsächlich wie in irgendeinem Text beschrieben, ein Ort von einer anderen seltsamen Welt zu sein scheint, tauchte ein alter Afroamerikaner im Wagon auf, der aus dem Nichts begann, mit einem Bein hart auf den Boden zu stampfen und den folgenden Vers immer und immer wieder in einem grimmigen Ton, den anderen Passagieren in ihre Gesichter zu schreien: „I’m lost! I’m not dead! I’m from Brooklyn…“ Dieses und noch anderes wirres Zeug kamen ohne Pause aus dem Durchgeknallten heraus. Eine jüngere, ebenfalls Afroamerikanerin, erbarmte sich nach einer Weile und sagte in einem schon gut angepissten Ton „Shut the fuck up!“… unbeeindruckt fuhr der alte Kerl fort. Ihr platzte darauf hin der Kragen. „Shut the fuck up! I’m also a crazy bitch, nigger!! Sit down and shut the fuck up!“ Sie erntete Applaus, er verließ an der nächsten Station die U-Bahn und stieg in eine andere ein. Nun zum Eigentlichen. Coney Island war also Samstag, den 19. Juni angesagt, ebenfalls Tag für die Mermaid Parade dort. Ein Ort, an dem an jenem Tage verschiedenste Kulturen aufeinander trafen. Unter ihnen befanden sich weitest gehend leicht bekleidete, mitunter Ganzkörpergeschminkte Badenixen und Neptuns. Party-Trucks zogen die Surf Avenue entlang. Mein Favorit war der grüne Techno-Bus, der früher ein Schulbus war. Sehr cool auch der Wagen mit Band inklusive Schlagzeug auf der Ladefläche, welche „Kids“ von MGMT spielte. Die Erinnerung an unseren Abiballtag und seine Zeugnisausgabe erhaschte mich, denn zu diesem Lied wollten wir eigentlich den Saal verlassen. (Stattdessen gab es Feuerwerksmusik von Händel…) Zurück zum Thema. In dem Vergnügungspark nahe dem Strand drehte es mir auf dem XXL- Kettenkarussell fast den Magen um. Und ich kann es nicht lassen, aber die Zugfahrten sind doch immer noch die lustigsten. Eine absolut unscheinbare nichts sagende Mutti um die 50, die in der Bahn pennte, ausgerechnet diese Frau trug eine Mickey-Mouse-Uhr ums Handgelenk und hatte ein Cap auf dem Knie zu liegen mit dem Volcomstein drauf. Im nächsten Zug besteigt eine wirkliche Mutter das Abteil, die auf sehr hektische Weise ihr Problem schildert und verzweifelt um Geld bettelt um mit ihren Kindern nach Hause fahren zu können. Wahnsinnig weinerlich und zitternd nimmt sie Geldscheine der Fahrgäste entgegen, kämpft sich keuchend durch den Gang, auch mein Sitznachbar drückt ihr einen 20$ Schein in die Hand. Ich gebe nichts. Mein Körper ist auch noch erstarrt, als sie unsere Reihe passiert, mein Mund steht offen, ich gucke wahrscheinlich wie ein Auto drein. Meine Gedanken lauteten „Entweder ich habe ein Dejavú oder ich habe diese Frau vor zwei Wochen tatsächlich schon einmal genau die gleiche Geschichte erzählen hören.“ Den gleichen Abend besuchte ich die Bat Mizwa von Anjas Gasttochter. Schlagwörter sollten reichen. Bonzenparty vom feinsten. Reiche junge Teeniemädchen mit viel zu großen Brüsten und Pos. DJ von MTV. 400$ Highheels voller Glitzer an den Füßen der Hauptperson. Alle Kinder tauschen ihre Schuhe in Socken – „das macht man halt so“. Teurer Wein. Lila-rosa-blaue Lichter hinter und unter Milchglas für’s Clubambiente. Am Buffet Pommes, Mac’n cheese, Chickensliders. Eine Partyfotografin, die ihren Vornamen in „Flash“ umgeändert hat.

Sonntag fuhren wir zum Jones Beach. Die zwei nächsten Tage hatte ich einen Sonnenstich. Auf der Stadtautobahn überholten wir einen etwas älteren, dunkelgrünen, eckigen Kleinbus, welcher junge Alternative quer durch New York fuhr und vor einem Rückspiegel eine Wasserpistole befestigt hatte, welche von innen betätigt werden konnte. Da wurden die Insassen unseres Wägelchens mal gekonnt nass gemacht. Als Trost für den Spaß gabs eine Dose Red Bull bei Tempo 60 Meilen pro Stunde durch offene Fenster rübergereicht. Wir revanchierten uns mit einem von Michels eisgekühlten Ginger Ales aus der Kühlbox. Das und ein rosavioletter Himmel in Verbindung mit Manhattans Skyline über den Grabsteinen des gigantischen Friedhofs in Queens schlossen dieses Wochenende ab.

Hab ich schon erwähnt, dass sich der Starbucksmitarbeiter Jesse vor zwei Wochen mit seiner Gitarre vor den Laden gesetzt hat? Mit offenem Koffer vor seinen Füßen, in den er wie ein Depp selbst drei Dollar hineingeworfen hatte, um es nach etwas aussehen zu lassen (worüber sich auch jeder seiner Kollegen ausreichend lustig gemacht hat), trug er eine ziemlich lustige Parodie auf T.I.’s und Justin Timberlake’s „Dead and Gone“ vor. „Ray, I’ve been working in this store too long… now all the drinks are made and gone“ Jeniges und ein paar eigene Lieder, sowie Glen Hansards “Falling slowly”, Incubus’ “Drive” und noch mehr kamen aus dem eher nerdigen Typen raus. Wer weiß, vielleicht kommt er bald groß raus… und erzählt dann auch wie Lady Gaga es pflegt, von Long Island zu stammen, statt aus dem fast bronxigen Yonkers. Tzzz…

Mittlerweile ist es halb eins und der Wein schlägt ein wenig zu. Morgen steht Frühsport namens Deutschland gegen England auf dem Plan. Verflucht sei die Zeitverschiebung.

P.S.: Ich kaufe nie wieder eine CD aufgrund ihrer Optik. „The Clientele“ gegooglet - weißte bescheid!

1 comment:

Anonymous said...

Hallo.
Ich mochte mit Ihrer Website caroel.blogspot.com Links tauschen